„Dieses Jahr möchte ich keinen Rückblick, ich hätte gerne einen Ausblick!“

Diesen Spruch findet man zum Jahresende wieder verstärkt in der Social-Media-Welt. 

Und leider ist es oft so im Leben: Entweder hängen wir in der Vergangenheit fest, wo alles besser, schöner, einfacher war. Oder es geht um die Definition neuer Visionen, Ziele, Maßnahmen und das Erreichen weiterer Meilensteine. Immer höher, schneller, weiter in Richtung Zukunft… Dabei vergessen wir jedoch, dass wir das, was war, oder aktuell ist, nicht einfach löschen können und auch nicht sollten. Denn so würden wir wertvolle Erkenntnisse verschenken, die sehr bedeutungsvoll für unsere persönliche Entwicklung sind.

Aus meiner Sicht braucht es beides: Den Rückblick, um zu verstehen, zu bewerten, zu reflektieren. Den Ausblick, um in Bewegung zu kommen, um sich zu motivieren, um als Mensch und im Leben weiterzukommen. Es braucht das Innehalten und den Rückblick, um überhaupt nach vorne schauen zu können.

Jetzt erst recht

Auch wenn die vergangenen zwei Jahre für die meisten von uns eher schwierig und von Herausforderungen und Unsicherheiten geprägt waren und immer noch sind: Ein Rückblick ist gerade jetzt sehr wertvoll.

Denn oft ist uns nur das noch sehr bewusst, was mit Emotionen verbunden war. Und das waren bei vielen Menschen in der letzten Zeit vor allem negative Emotionen, wie Angst, Wut und Trauer. Das sollte rückblickend unbedingt nochmals reflektiert werden.

Aber es gab in dieser Zeit auch viele „normale“ Erlebnisse, Situationen, Erfahrungen, die jedoch nicht mehr so präsent sind. Sie wurden überlagert. Oft überlagern eben die negativen, emotionalen Erlebnisse die eher „normalen“ und schönen Zeiten und Erlebnisse. Wir sollten auch diese schönen und wertvollen Erlebnisse wieder in den Vordergrund holen. 

Wann wir am meisten lernen

Vor allem in schwierigen Zeiten, in Krisen, wenn wir außerhalb unserer Komfortzone sind, lernen wir am meisten. Aber sind wir uns überhaupt darüber bewusst, was wir in den letzten Jahren alles gemeistert haben, Neues gelernt und erfahren haben?

Ein wertschätzender, würdigender Rückblick trägt auch zu unserer persönlichen Resilienz bei. Denn wir werden resilienter, wenn wir schwierige Phasen gut meistern und vor allem, wenn wir uns dies bewusst machen, es würdigen und daraus für die Zukunft lernen.

Wo liegt der Fokus?

Die Frage ist, worauf lege ich meinen Fokus und mit welcher Haltung gehe ich diesen Rückblick an. Also nicht JA oder NEIN zum Rückblick, sondern eher WIE!

Die Basis ist das Verstehen der vergangenen Monate und Jahre. Es braucht die Reflexion, die Wertschätzung des Gewesenen und des Erlebten. Es braucht Dankbarkeit und Würdigung. Aber es braucht auch das Bewusstsein für alles Neue, das hinzugekommen ist: Erfahrungen, Lessons Learned, Wissen, Know-How und Kompetenzen. Und es braucht eine Bewertung und letztendlich eine Entscheidung, was ich von all dem weiter mitnehmen möchte und was ich zurücklasse.

Denn nur dann, wenn wir die Vergangenheit würdigen und wertschätzen, können wir mit dieser neuen Erkenntnis und Energie die Zukunft ganz bewusst für uns gestalten.

„Ich blicke zurück, um zu sehen, wie weit ich gekommen bin.“

Wenn ich beim Wandern oder auf Skitour bin, dann wundere ich mich oft, wie weit ich doch in kürzester Zeit gekommen bin. Man läuft so vor sich hin und blickt selten zurück. Im Fokus ist das Ziel, der Gipfel oder die Hütte. Doch ich bleibe gerne auch ganz bewusst stehen und blicke zurück.

Spätestens am Gipfel kann ich den Weg einsehen, den ich gekommen bin. Ich sehe die Entfernung, die Höhenmeter, die ich zurückgelegt habe. Es war steil, rutschig, vielleicht musste ich die Hände zur Unterstützung nehmen, es war anstrengend… aber sobald ich oben stehe, ist all das erst mal vergessen.

Und genau das hilft bei der nächsten Tour: Ich rufe mir in Erinnerung, dass ich ähnliche Situationen auf einer Bergtour schon einmal bewältigt habe. 

So ist es auch im Leben … und die momentane Situation ist ein gutes Beispiel: Es fällt uns sicherlich schwer, das Ziel, den Gipfel zu sehen. Denn es fühlt sich an, als wäre der Gipfel gerade ab- und woanders aufgebaut worden – aber nicht in Sichtweite. Doch es hilft nichts, zu jammern und die Opferrolle einzunehmen. Wir müssen lernen, mit der Situation umzugehen und die Zukunft mit dem zu gestalten, was da ist. Jeder in Eigenverantwortung, jeder nach seinen Möglichkeiten.

Und dafür braucht es ihn, den wertschätzenden, würdigenden Rückblick.

Viel Spaß und viele kraftvolle Erkenntnisse bei Ihrem Rückblick!

Mögliche Fragen für Ihren persönlichen Rückblick

Dies sind erste Impulse, vielleicht gelangen Sie dadurch auch noch zu weiteren, anderen Fragen …

  • Welche Zeitspanne möchte ich im Rückblick reflektieren? Das vergangene Jahr, die vergangenen 2 Jahre, 5 Jahre?
  • Worauf möchte ich den Fokus legen? Das Leben insgesamt, mein Privatleben, mein Berufsleben?
  • Welche wesentlichen Ereignisse gab es in dem Zeitraum?
  • Wie bin ich mit emotionalen High- und Lowlights umgegangen?
  • Was ist mir durch diese bewusst geworden? Was habe ich daraus gelernt?
  • Was hat mir geholfen, mit den Lowlights umzugehen?
  • Auf welche meiner Stärken konnte ich mich in dieser Zeit verlassen?
  • Welche neuen Stärken und Potenziale in mir habe ich erkannt?
  • Was habe ich umgesetzt, verändert, gestaltet?
  • Was möchte ich von all dem mit in die Zukunft nehmen?
  • Was möchte ich loslassen?
  • Mit welcher inneren Haltung gehe ich vorwärts in Richtung Zukunft?
Vorschläge zur Gestaltung eines Rückblicks
  • Bei einem Spaziergang oder auf einer Wanderung, mit einem Notizbuch für die Antworten
  • In der Natur auf einer Parkbank am See, im Wald, auf einem Berggipfel
  • Eine Mindmap oder Landkarte auf einen großen Blatt Papier oder Flipchart
  • Eine oder mehrere Sketchnotes
  • Jemandem Nahestehenden erzählen, gemeinsam reflektieren
  • Eine gemütliche Atmosphäre schaffen im Büro oder zuhause vor dem Kamin
  • Sich vor allem Zeit nehmen!
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